Erna hat einen Traum

Erna hat einen Traum

Christoph Frick zeigt am Freiburger Theater, wie aktuell Ödön von Horváths Stück „Kasimir und Karoline“ ist
Bettina Schulte, Badische Zeitung, Kultur, 31. Mai 2007

Das muss man gesehen haben. Bettina Grahs, wie sie ein grasgrünes Fruchteis vom Stiel beißt und sich im Hippodrom selbst wiehernd die Sporen gibt. Melanie Lüninghöner, wie sie zum Himmel schaut, um dort nach dem Orion zu suchen. Nicola Fritzen, wie er seinen ganzen Hass auf die Welt in den Wurf eines Bierplastikbechers legt. Ueli Schweizer, wie er mit gebrochenem Kiefer vom Schlachtplatz wankt. Wir sind, weil Ödön von Horváth es so will, auf dem Münchner Oktoberfest und sehen dabei zu, wie eine Verlobung mir nichts dir nichts auseinanderbricht. „Kasimir und Karoline“ – wie klingt’s füreinander geschaffen und welche Ironie hat Horváth in den Titel seines „Volksstücks“ von 1932 gelegt, das die Liebe knallhart und glasklar ans soziale Umfeld knüpft. Einer ist frisch „abgebaut“, das heißt in Zeiten von Hartz IV: arbeitslos geworden. Eine will mit Macht – und das heißt: unter Einsatz weiblicher Mittel – nach oben. Das passt nicht.

Knallrote Minilederhose mit Herzchenlatz

Das Oktoberfest, das Christoph Frick, für Regie und Bühnenbild verantwortlich, gemeinsam mit Julia Rösler ins Kleine Haus des Freiburger Theaters gebaut hat, ist natürlich keine Wiesn mit Maßkrug und sonstiger Bayernfolklore. Nur Maria Kwiatkowsky, die die Animateurin gibt, eine hibbelige Gute-Laune-Einpeitscherin, trägt eine knallrote Minilederhose mit Herzchenlatz (Kostüme ebenfalls Julia Rösler). Sie tänzelt auf einem meterlangen Laufsteg aus Pressspan herum: Hier spielt die Musik, hier geht es ab, hier kann man auch als kleiner Mensch seinen Spaß haben, die Sorgen im Vergnügungsrausch vergessen.

Wenn man will. Kasimir will nicht. Kasimir, der Spielverderber aus verlorener Arbeit, verdirbt auch dem amüsierwilligen Bürofräulein Karoline gründlich die Laune. Ein kränkendes Wort gibt das andere. Und so gehen Nicola Fritzen, ein sehniger angry young man, und Bettina Grahs, eine kokette, herausfordernde, dabei sehr coole, berechnende junge Frau, der unaufhaltsamen Entzweiung entgegen. Horváth, der bis heute größte Erneuerer des Volksstücks, erzählt diese schlichte traurige Geschichte nicht in einem großen dramatischen Bogen – das wäre auch viel zu pathetisch –, sondern in sich wie zufällig aneinander reihenden Episoden. Das könnte auf der Bühne auseinander fallen.

Doch der Freiburger Hausregisseur Christoph Frick, der die Spielzeit mit einem nicht sehr überzeugenden „Othello“ im Großen Haus eröffnet hat, verhindert das mit einer genialen Raumidee: Die Bühne ist rundum mit mannshohen Sperrholzplatten vernagelt, hinter denen die Figuren, die vorübergehend aus dem Spiel genommen sind, das Geschehen stets beobachten. Der Innenraum kann zugleich als eine Art Boxring genutzt werden – wenn es am Ende zur großen Rauferei aus nichtigem Anlass kommt, bietet der Plattenbau eine Abprallfläche für Fricks körperbetontes Theater, das einem energetischen Schauspieler wie Nicola Fritzen sehr entgegenkommt.

Eine Herzattacke beendet die Verführung

Auch Ben Höppners latent aggressiver Merkl Franz, ein Ganove, der den braven Kasimir vergebens auf die schiefe Bahn zu locken versucht, überzeugt durch starke physische Präsenz – während Ullo von Peinens braungebrannter Vorstandsvorsitzender Rauch, der die Karoline in seinem Cabrio ausgerechnet auf der Fahrt nach Altötting vernaschen will, aber durch eine Herzattacke daran gehindert wird, den Intellektuellen nicht verleugnen kann.

Das Ereignis dieser ausgezeichneten Inszenierung, die Malte Preuß an Gitarre und Reglern mit Finesse musikalisch begleitet, ist jedoch die Sprache. Horváths Sprache. Sie klingt frisch und unverbraucht wie am ersten Tag. Christoph Frick ist dafür zu loben und zu preisen, dass er sie in ihrem Originalzustand belassen hat – ohne jedes neudeutsche Einsprengsel. Gerade im Nichteinebnen der historischen Distanz springt einem „Kasimir und Karoline“ als erstaunlich aktueller Kommentar zur gesellschaftlichen Lage entgegen – und als illusionslose Betrachtung des Verhältnisses von Mann und Frau, das jenseits allen romantischen Gesäusels innerhalb sozialer Rahmenbedingungen stattfindet, die zu gern weggeträumt werden. Auch Erna hat einen Traum – aber einen anderen. Den Traum von der Revolution. Ihr Bruder hat sich auf dem Altar des Aufstands geopfert, was Kasimir lächerlich findet. Aber bietet etwa das andere Paar, das sich am Ende aus pragmatischen Gründen gefunden haben könnte und dem kapitalistischen Fortschrittsglauben huldigt („Alles wird besser“), bieten der smarte Zuschneider Schürzinger (Ricardo Frenzel) und die von ihrem Höhenflug geheilte Karoline eine Alternative? Wenn die wunderbare Melanie Lüninghöner, die vom Merkl Franz geläuterte Ganovenbraut, von ihrer Hoffnung spricht, hat sie einfach recht. Wie sie daherschaut, so inbrünstig und so leuchtend, von innen nach außen: Das bleibt hängen. Doch die Erhöhung fordert ihren Preis: die Erotik. Aus einer Eva wird Maria, die im Schlussbild den armen Kasimir wie eine Pietà in ihren Armen hält. Doch Liebe ist das nimmermehr. Heftige Zustimmung.