Liebe als käufliches Produkt

Liebe als käufliches Produkt“

Ticket-Interview: Thomas Krupa inszeniert Bertolt Brechts Parabel „Der gute Mensch von Sezuan“ am Theater Freiburg / Erste Brecht-Arbeit des Regisseurs / Wesentlicher Bestandteil ist die Musik
Interview von Bettina Schulte, Badische Zeitung, Ticket, 1. März 2006

Am liebsten sitzt er zwischen den Stühlen von Musiktheater und Schauspiel: Thomas Krupa, der dem Theater Freiburg zuletzt eine famose Inszenierung von Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ bescherte, hat sich nun Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ vorgenommen. Bettina Schulte sprach mit ihm.
Ticket: Herr Krupa, was interessiert Sie an dem Stück?
Thomas Krupa: Ich habe noch nie Brecht inszeniert. Das ist eine Herausforderung. Zum anderen: Was kann man aus einer Geschichte herausholen, die die Frage nach dem Gutsein in einer Welt stellt, die jeden zum Lügen, Heucheln und Betrügen zwingt? Und: Was steckt hinter diesem Vorgang von Schizophrenie?
Ticket: Die zur Tabakladenbesitzerin aufgestiegene Prostituierte Shen Te verwandelt sich immer dann in ihren Vetter Shui Ta, wenn ihr ihre Situation über den Kopf zu wachsen droht.
Krupa: Das ist ja kein pathologischer Vorgang. Brecht zeigt jemanden, der innerhalb eines gesellschaftlichen Kontexts funktioniert hat und dem plötzlich die Chance gegeben wird, kleinunternehmerischen Ehrgeiz mit sozialem Engagement zu verbinden. Das scheitert Schritt für Schritt ganz fürchterlich. Ich würde das, was hier passiert, soziale Schizophrenie nennen. Am Ende steht da ein Mensch, der total zerstört ist.
Ticket: Was zerstört Shen Te?
Krupa: Die Widersprüche, in die sie sich verstrickt, tauchen dann als moralische Kategorien wieder vor ihr auf. Dagegen stehen Wünsche und Sehnsüchte, die ihr Leben nochmal in eine komplett andere Richtung drehen könnten.
Ticket: Die Liebe ist bei Brecht nicht gerade eine Utopie.
Krupa: Nein, Brecht ist da gnadenlos. Liebe ist ihm ein käufliches Produkt. Das ist ein wahnsinniger Zynismus. Aus Shens Liebe zum Flieger Sun entsteht ein Kind. Um es durchzubringen, muss Shen Te immer mehr Zuflucht bei Shui Ta nehmen. Sie entfremdet sich weiter von sich selbst. Das ist aber nicht nur traurig, sondern auch komisch.
Ticket: Wieso komisch?
Krupa: Brecht spielt mit dem Klischee der klassischen Hosenrolle. Am Ende steht Shui Ta als dicker, fetter, erfolgreicher Unternehmer da, aber unter seinem Bauch verbirgt sich eine Frau, die im siebten Monat schwanger ist. Eine völlig groteske Figur.
Ticket: Was hat diese Geschichte, deren erste Entwürfe auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise Ende der zwanziger Jahre entstanden sind, mit der heutigen Situation zu tun?
Krupa: Vielleicht mehr, als einem lieb sein kann. Die Probleme sind keine anderen, ob wir über fünf Millionen Arbeitslose reden oder über die misslungene Hartz-IV-Reform. Wenn man das als Gedankenfolie über das Stück legt, wirkt Brecht zeitlos, zumal er das Stück – an dem er bis in die fünfziger Jahre gearbeitet hat – in eine Parabel bettet. So viel hat sich nicht geändert.
Ticket: Und formalästhetisch? Hat sich das epische Theater nicht überholt?
Krupa: Keineswegs. Für mich ist Brecht ein Vorläufer der Postdramatik – über Heiner Müller könnte man den Bogen bis hin zu René Pollesch spannen.
Ticket: Was verstehen Sie unter Postdramatik?
Krupa: Hier erzählt jemand nicht linear, sondern versucht, aus vielen einzelnen Modulen eine Art Collage zusammenzusetzen – wobei Brecht immer noch an einem Plot festhält.
Ticket: Dazu gehört auch Musik.
Krupa: Nicht auch, sondern wesentlich. Paul Dessau hat für das Stück 36 Nummern geschrieben. Es sind nicht nur sechs Songs, sondern auch 18 Rezitative. Brecht hat das Stück ursprünglich für den Broadway konzipiert – als „musical drama“. Brecht galt aber damals in den USA als politisch problematisch. Deswegen wurde es schwierig, es auf den Broadway zu bringen. Aber gedacht war es als Show, als Comedy. Diesen Aspekt versuchen wir scharf zu ziehen. Bei uns sitzt ein Orchester auf der Bühne und zitiert das musikalische Material.
Ticket: Ist das schon mal so gemacht worden?
Krupa: Nein. Maxim Dessau, der Sohn, hat uns unterstützt bei unserem Vorhaben. Bei uns sind die Götter drei alte Musiker. Eine Swing-Band, die wir aus den „methusalems“, dem Senioren-Projekt des Freiburger Theaters, rekrutiert haben.
Ticket: Das klingt, als ob Musik und Text gleichberechtigt wären.
Krupa: Es ist wie bei Mozart.
Ticket: Die Zuschauer sitzen mit auf der Bühne. Warum?
Krupa: Sie sind die Öffentlichkeit, sie repräsentierten die Stadt. Das Publikum ist Bestandteil eines Gedankenspiels: Wir spielen mit acht Schauspielern. Diese schlüpfen in Rollen hinein, lassen sie auch wieder liegen. Das Ganze bekommt einen stark performativen Charakter.