Sich klar werden, wer man ist

Beitrag in „Der Sonntag in Freiburg“ vom 08.12.2013 von Otto Schnekenburger

Wie JARG PATAKI einen Text über ausgemusterte Banker auf „Die Methusalems“ zuschnitt

Die Exzesse und Manipulationenmechanismen  des Finanzkapitalismus verraten auch viel über die Natur des Menschen, sagt der Regisseur Jarg Pataki. Erstmals arbeitet er mit der Theatergruppe „Die Methusalems“ zusammen. Ihr Stück „Das Himbeerreich“ basiert auf den Interviews mit gefeuerten Top-Bänkern.

OTTO SCHNEKENBURGER

Diese Interviews, die der Dokumentarfilmregisseur und Schriftsteller Andres Veiel, be- kannt durch Filme wie „Black Box BRD“, „Der Kick“ oder „Die Spielwütigen“, mit zwei Dutzend ehemaligen Top-Bänkern geführt hatte, dienten ihm als Vorlage für ein Stück, bei dem er die Regie selbst übernahm. Diese Ex-Führungspersonen waren vorzeitig in einen mit Annehm- lichkeiten wie den Erhalt eines Büros und großzügige Bezüge versehenen Ruhestand versetzt worden, gleichzeitig aber mit Knebelverträgen gezwungen worden, kein Firmenwissen preiszugeben, weshalb Andres Veiel die Interviews anonymisieren musste.

Sein Stück handelt von den Manipulationsmechanismen des Neokapitalismus und ist da- mit ein Kommentar zur Finanzkrise und zu fehlenden Beschränkungen der Macht großer Banken. Der Regisseur kam durch ein Zitat von Gudrun Ensslin auf den Titel seines Stückes, die im Gefängnis ihren damaligen Verlobten Bernward Vesper um „Früchte des Himbeerreiches“ gebeten habe und damit Luxusprodukte aus dem „Kaufhaus des Westens“ gemeint haben soll. „Meines Wissens wurde der Begriff aber tatsächlich auch schon als selbstironische Bezeichnung von ausgemusterten Bankern für sich verwandt“, so Pataki.

Zu Anfang des Jahres hatte das Stück als Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin seine Uraufführung in Stuttgart. Veiel hatte dabei die Texte noch sechs Bühnenfiguren zugeordnet. Hier wagte Pataki nun einen ent- scheidenden Bruch mit der Vorlage. Zum einen, weil er das Stück auf die Gruppe der Methusa- lems zuschneiden wollte. Zum anderen aber auch, weil es ihm weniger um eine Analyse des Banken- und Finanzsystems geht.

„Das sind alles hochspannende Texte“, sagt Pataki. Aber Dokumentarfilme, Fachliteratur oder journalistische Auseinandersetzungen würden bei der Analyse von Fehlwegen des weltweiten Finanzsystems ohnehin bereits weit mehr leisten als dies ein Theaterstück vermag. Auch im Theater sei die Beschäftigung mit den Auswüchsen des Finanz- kapitalismus und der Entfremdung von Menschen von ihrem Beruf angefangen mit Urs Widmers „Top Dogs“ immer wieder thematisiert worden, das sei also nichts so Neues. Ihm sei es in seiner „Himbeerreich“-Fassung darum gegangen, welche grundsätzlichen Dinge die ehemaligen Spitzenbanker mit der Menschheit an sich gemein habe, welche Energien den Menschen antreiben und ihn andere manipulieren lassen.

So hat Pataki gemeinsam mit den Methusalems Strukturen hinterfragt, die für Spitzenkräfte genauso wie für Rentner gelten. Schnell kam vieles zum Vorschein, was, wie man bei den Proben immer wieder feststellte, wohl schon vor 15 000 Jahren so war. So ist „Das Himbeerreich“ ein Stück über Begierde, Neid und Geltungssucht, über den Kampf von Platzhirschen und ihre Manipulationsstragien, über Realitätsverlust und Skru- pellosigkeit, aber auch ein Stück über Sinnsuche.

Nicht dass Pataki nicht der Meinung wäre, dass dem „permanenten Betrugssystem“ des Finanzkapitalismus durch Gesetzesänderungen Einhalt geboten werden müsste. Auch sieht er diese Botschaft nach wie vor im von ihm umgeschriebenen Text. Nun steht mit den Methusalems aber eine Gruppe von Schauspielern auf der Bühne, die ihre Arbeitsbiografie hinter sich haben. Keine Laien- oder Senioren-The- atergruppe, wie Pataki betont. Die im Jahr 2000 von Helmut Grieser ins Leben gerufenen Methusalems haben sich längst das Image erspielt, anspruchsvolles Theater zu bieten. Mit der Intensität der Vorbereitung auf „Das Himbeerreich“ – man probte zwei Monate lang ganztägig – habe man diesem künstlerischen Anspruch entsprochen.

Die Lebenswelt der Methusalems ist letzlich nur scheinbar meilenweit entfernt von der von  Ex-Bänkern. Zwar haben viele eben mit der Schauspielgruppe eine neue Identität nach dem Berufsleben gefunden. Das Erleben von Bedeutungslosigkeit nach dem Arbeitsleben kennen die Schauspieler aber zur Genüge aus dem Bekanntenkreis. Und sie erleben ihre Gesellschaft häufig als eine des „Jugendwahns“, in welcher auf kurze Phasen des Begehrt-Seins schon bald ein Überlebenskampf folge, der gerade der Kinder- und Enkelgeneration der Methusalems zu schaffen macht.

So kam man auf eine Bühnenform, die in vier Akten einen Bogen über sechs bis acht Jahrzehnte, also quasi über das bisherige Leben der Senioren spannt. Es beginnt revueartig in den 50er-Jahren, eine Zeitspanne, die viele Methusalems als junge Men- schen erlebten. Optimismus und Aufbruchstimmung ist hier in den Texten erkennbar, aber auch schon Gewinn- und Machtstreben. Dran-Sein, Einfluss haben, gestalten können, heißt es. Die Zeiten werden schwieriger, das Machtdenken als Antrieb bringt die Menschen zunehmend in Konkurrenz zueinander, es lässt sie aber auch immer mehr Erkenntnisse darüber gewinnen, wer sie sind.

Jarg Pataki hat auch einen neuen Gattungsnamen für die Inszenierung gefunden. Ein sze- nischer Gedichtzyklus in vier Akten ist bei ihm aus den Interviews geworden. „Wir haben in den Proben sehr chorisch gearbeitet, beim Text auf seinen Rhythmus geachtet“ erklärt Pataki dabei die Verwendung des Wortes Gedicht.