Jenseits der Komfortzone

Mit DIE LETZTE FRAGE suchen Jarg Pataki und die Methusalems nach der Mitmenschlichkeit

Die größte Angst des Menschen ist der Tod, ist sich Jarg Pataki sicher. Seine Inszenierung „Die letzteFrage“ fußt auf Motiven einer Romantrilogie von Ágota Kristóf und wird ab dem 16. Januar von der Seniorentheatergruppe des Theater Freiburg „die methusalems“ gespielt.

ANNETTE HOFFMANN

Man kann den Roman von Ágota Kristóf „Das große Heft“ als Geburt eines neuen Menschen aus dem Geist der Grausamkeit lesen. Stehen im Mittelpunkt dieses mehrfach ausgezeichneten, 1986 erschienenen Textes doch Zwillinge, die während des Zweiten Weltkrieges von ihrer Mutter in die Obhut der Großmutter ge- geben werden einer gefühlskalten Frau ohne Humanität und von eher archaischen Manieren – und die sich fortan selbst jede menschliche Regung abtrainieren. Jarg Patakis Lesart ist das nicht.

Diese Lektüre schien mir von Anfang an nicht aufzugehen“, sagt Pataki. Für das Theater Freiburg hat der Regisseur sich nun mit der Trilogie der ungarisch-schweizerischen Autorin befasst und für die Methusalems eine Spielfassung geschrieben, die auf dem ersten und letzten Teil von Kristófs Werk beruht. Sie gesteåçht dem Brüderpaar die Rolle von Moralisten zu, die die Welt in Gut und Böse scheiden und selbst eindeutig auf der guten Seite stehen.

Das große Heft ist das Aufsatzheft der Zwillinge, in dem sie ihre Beschreibungsübungen fest- halten, mit denen sie sich Hunger, Schmerz, Scham und Angst radikal abgewöhnen. Die erste und ständige Übung ist eine der Sprache. Sie zwingen sich zu unsentimentalen Sätzen, die keine Gefühle erkennen lassen. Dass bei diesen Übungen der Jungen Menschen nicht nur zu Schaden,

sondern auch umkommen, wird fast am Rande berichtet. Für Kristóf, die 2011 mit 75 Jahren in Neuchâtel starb, muss Sprache auch eine Distanzform, wenn nicht die Erfahrung eines Risses gewesen sein. Es war die Sprache des Exils, sie schrieb auf Franzö- sisch. 1956 floh sie zusammen mit ihrer Familie nach dem ungarischen Volksaufstand in die Schweiz. Als „Das große Heft“ veröffentlicht wurde, nahm man es als Antikriegsroman auf.

Nicht grundlos heißt das Stück, das am 16. Januar im Kleinen Haus des Theater Freiburg Premiere haben wird, jetzt „Die letzte Frage“. Denn um die letzte Frage im Leben eines Menschen, um den Tod und die Angst vor ihm, wird auch Patakis Inszenierung mit den Methusalems krei- sen. Ausgehend vom letzten Buch der Trilogie Ágota Kristófs „Die dritte Lüge“ hat Pataki eine Interpretation entwickelt, die den ersten Teil als rein gedankliche Aufarbeitung einer Trennung der Zwillinge in der Kindheit versteht. Es ist kein positives Bild, das Kristóf, so Pataki, hier vom Alter zeichnet: depressiv und ganz auf Krankheit und die Körperfunktionen konzentriert.

Will man so enden, wie könnte es anders gehen? Vielleicht mit Übungen, die zu Genauigkeit an- leiten und die Verhaltensstrukturen schaffen, die nicht von Trieben und persönlichen Ge- fühlen, sondern von Empathie geleitet sind. Auch so lassen sich die Beschreibungsexerzitien des Romans verstehen, ist sich Pataki sicher.

Eine Komfortzone für ambitionierte ältere Laiendarsteller sieht also anders aus. „Die Mit- glieder der Methusalems haben nicht das Handwerkszeug eines ausgebildeten Schauspielers, sie haben eine Biografie“, stellt Jarg Pataki fest, der nun bereits zum zweiten Mal mit ihnen zusammenarbeitet. Im Dezember 2013 hatte er mit den Methusalems „Das Himbeerreich“ nach Andres Veiel entwickelt. Schon bei diesem Abend über den Kapitalismus und das Bankensystem fanden sich die Ensemblemitglieder zu einem chorischen Sprechen zusammen und auch diesmal wird der Chor zentral werden für die Inszenierung. Niemand anderes als der zeitgenössische Mensch, ein utopisches Wir könnte hier eine Stimme finden. Die Biografie jedoch, die jeder der zwölf Mitglieder hat – die meisten Darsteller sind in den 1940er Jahren geboren – hat Pataki eher bestärkt, Kristófs Romane nicht als unmittelbare Kriegserfahrung zu lesen, son- dern sie auf einer abstrakteren Ebene zu verstehen. Ein Gedankenraum soll entstehen, in dem sich die Darsteller aber auch die Zuschauer existenzielle Fragen stellen können.

Der Sonntag in Freiburg, 11. Januar 2015