Eine andere Gewissheit auf der Bühne

Eine andere Gewissheit auf der Bühne

Der Regisseur Carsten Fuhrmann vor der Premiere von „Ich bin nur vorübergehend hier“ im Theater Freiburg.
Kathrin Kramer, Badische Zeitung, 25. April 2009

GESPRÄCHE IM ORBIT: Während der Probe im Kleinen Haus des Freiburger Theaters klopft Carsten Fuhrmann manchmal mit der flachenHand auf sein Regiepult, als wolle er die Schauspieler an den Takt, den Rhythmus des Spiels erinnern. „Ich bin nur vorübergehend hier“ heißt das Stück von Tankred Dorst, das mit einer Aufforderung zum Tanz beginnt. Und es sind nicht nur die Worte, die in dieser Inszenierung zählen, sondern auch die Musik und die Choreographie der Bewegung. Die auf der Bühne stehen, haben, mit Ausnahme des Kindes, einMindestalter von 65 Jahren, zwei sind gerade 80 geworden, und die Älteste ist 84 Jahre alt. Alte spielen Alte, so vital und ausdrucksmächtig, dass die Grenze zwischen Sein und Schein zerfließt. Die Seniorentheatergruppe „die methusalems“ besteht seit acht Jahren, und man merkt den Darstellern ihre Erfahrung an. Für Carsten Fuhrmann ist die Zusammenarbeit Premiere. Er vertritt für ein Jahr den Theaterleiter Helmut Grieser, der in dieser Zeit ein Stück vorbereitet,mit demer selbst imMai einmal wieder als Schauspieler auf der Bühne stehen wird.

Normalerweise arbeitet Carsten Fuhrmann mit Menschen zusammen, die an die sechzig Jahre jünger sind als sein derzeitiges Ensemble. Er ist Dozent für szenisches Spiel an derMusikhochschule in Freiburg. Und auch in dem SWR-Musikprojekt „Der Schrei“ hat er es als Leiter der szenischen Produktion vornehmlich mit Jugendlichen zu tun. Gerade deshalb ist die Arbeit im Team der „methusalems“ so spannend für ihn. „Ich bin mit meinen 42 Jahren nicht alt, aber auch nichtmehr jung“, sagt er,während er die dritte Tasse Espresso im Theatercafé trinkt. „Das heißt, ich bin in dem Alter, in dem einem klarwird, dass man sich demnächstmit demAlter auseinanderzusetzen hat.“

Und dazu bieten ihm die „methusalems“ jede Gelegenheit. „Ich sehe Stärken und Schwächen und vor allem das, was die Stärke an einer Schwäche sein kann.“ Er muss bei der Arbeit manchmal eine Geduld aufbringen, die ihm nicht in die Wiege gelegt ist. Alles geht langsamer als bei den Studenten, das Ausformulieren szenischer Situationen dauert länger. Aber auch das hat er inzwischen begriffen: „Es entsteht durch diese Langsamkeit eine größere Genauigkeit und eine andere Gewissheit auf der Bühne.“

Neu ist für Carsten Fuhrmann zudem, mit Leuten zu arbeiten, die bereits ein ganzes Berufsleben hinter sich haben und nun einen großen Teil ihrer Zeit und ihres Engagements wie professionelle Schauspieler der Bühne widmen. „Schauspielen“, sagt er, „heißt ja immer auch simulieren“. Hier ist die Simulation unterfüttert mit lebenslanger Erfahrung. Das bedeutet nicht, dass ein Richter per se den bestmöglichen Richter darstellt oder eine Pastorin die perfekte Pastorin. „Man kann jedoch anders andocken“, sagt er, „wenn man über eine Figur spricht“. So speist sich das Spiel aus dem Wissen und demErfahrungsschatz der Darsteller.

Carsten Fuhrmann hat selbst keinen geradlinigenWeg zur Bühne gewählt. 1967 in Magdeburg geboren, war er mit 16 Jahren bereits so schulmüde, dass er beschloss, Waldarbeiter zu werden. „Irgendwas mit Umweltschutz“ schwebte ihm vor. Nach zwei Jahren hatte er viel über das Abholzen, aber wenig über das Hüten des Waldes gelernt. Durch Freunde entdeckte er das Theater, arbeitete als Bühnentechniker und studierte gleichzeitig Gesang und Komposition in Magdeburg. Jede freie Minute verbrachte er bei Proben: fünf Jahre als Beobachter, „geguckt und geguckt“ – und Fragen gestellt. SeinGeld verdiente er inzwischen alsOpernchorsänger, sein Gefallen jedoch fand er mehr und mehr am Komponieren und am Regieführen. Fred Berndt, sein erster „Regie-Mentor“ in Berlin, lehrt ihn die Kunst, Schauspielern den nötigen Raum zur Entfaltung zu schaffen. Sein wichtigster Lehrmeister wird Gerd Heinz, der emeritierte Leiter des Instituts für Musiktheater an der Hochschule für Musik in Freiburg, dem er zuerst am Theater Bern begegnet. Von ihm lernt er „neben allem anderen“ etwas ganz Unspektakuläres: „die ungeheure Entspanntheit, die geradezu zenbuddhistische Ruhe bei großem Wollen, die Heinz in seine Produktionen hineinträgt“ – und die dem jungen, damals „hart, schnell und wenig flexibel“ arbeitenden Regieassistenten und Spielleiter fortan als Vorbild dienen. Kein Wunder, dass Carsten Fuhrmann den „methusalems“ den Takt schlägt. Sein Herz gehört dem Musiktheater. Und wieder klopft er mit der flachen Hand auf den Tisch, diesmal des Theatercafés, so heftig, dass die Tasse hüpft und die Bedienung aufschaut. „EinMoment, ein Dialog, im ,Figaro‘ zumBeispiel, kurz vorm Finale, di eMusik setzt ein“, Fuhrmanns Arm steigt wie ein Komet in die Luft, „und so was ganz Emotionales geht los“. Sagt es und zieht kurz das Käppi. „Aber das kann auch imSchauspiel passieren.“