Kritiken zu Jenseits von Gut und Böse

Applaus macht jung

„Die Methusalems“, ein Seniorenprojekt am Theater Freiburg

Elisabeth Kiderlen, Badische Zeitung, 19. November 2002
„Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich“ – mit diesem Song verlassen die „methusalems“ nacheinander die Bühne und ernten selbstverständlich das Gegenteil von Desinteresse, nämlich Applaus, mehr noch: Ovationen. Die vierzehn älteren Menschen, Theaterliebhaber, aber Theaterlaien, haben gerade ihren ersten Abend im Kleinen Haus des Freiburger Theaters bestritten. Ausverkaufter Saal, begeisterte Zustimmung, nun gibt es Überlegungen in der Intendanz, ob die „methusalems“ nicht vielleicht an weiteren Abenden spielen wollten, sollten, könnten.

„Ich weiß jetzt, warum ich Lehrerin und nicht Schauspielerin geworden bin“, sagt nach der Vorstellung eine der Damen, die mit keckem rotem Hütchen, einer Vorliebe für das Französische und einer munter gepfiffenen Marseillaise gerade noch auf der Bühne gestanden hat, „Schauspielen ist noch anstrengender als Lehrerin zu sein.“ Aber sie strahlt. Applaus macht fröhlich.

Im November 2000 wurde die Gruppe „Methusalems“ gegründet. Dem ging voraus, dass der Freiburger Schauspieler Helmut Grieser sich das eine und andere Mal Fragen stellte wie: Da verschwinden Leute mit 65 aus dem Berufsleben und tauchen nur noch als Renten- und Krankheitsfälle wieder auf. Wie ist das eigentlich mit dem Alter? Eine leicht unheimliche Frage in eigener Sache, aber auch eine, die nicht wenige Menschen beschäftigt. Grieser setzte also eine Annonce in die Theaterzeitung, und rund 80 ältere Leute kamen – um Theater zu spielen, über sich zu reden, natürlich auch um neue Bekanntschaften zu machen – eben: „Kein Schwein ruft mich an . . .“

Vierzehn blieben übrig, die Älteste ist in den 90ern. In der Gruppe, die sich seit rund zwei Jahren wöchentlich trifft, kurz vor der Premiere allerdings fast täglich, gibt es von der Krankenschwester bis zum Staatsanwalt, vom Schreiner bis zur Lehrerin viele unterschiedliche Lebensentwürfe. Und Lebenserfahrungen. Und die finden an diesem Abend alle auf die eine oder andere Weise einen Ausdruck. „Vierzig Jahre habe ich in einem Sauladen gearbeitet“, sagt einer, „und nicht einmal konnte ich die Wahrheit sagen“.

Von der Kindheit über die Tanzstunde bis zum Rentnerdasein

Aus den Erinnerungen und Geschichten entstand ein Theaterabend (Buch und Idee: Helmut Grieser und Ingrid Israel). Zusammengehalten werden die Geschichten von einem „Professor aus Biel und Solothurn, der gerade öffentliche Hypnosetage im Theater“ veranstaltet, eine Art Moderator, der die Erzählungen durch die Jahrzehnte lenkt, von der Kindheit der einzelnen bis zum Alter. Aus der Kindheit steigen da Geschichten auf, vom Huhn etwa, vor dem man floh, vom Schwimmenlernen, von der Freundin, die Jüdin war. Historisch Relevantes und Irrelevantes, persönlich aber immer so Bedeutsames, dass sich die Einzelnen noch fünfzig Jahre später daran erinnern. Dann – „Ich hab den Kopf ja noch auf dem Hals“ – geht es über in die Nachkriegszeit, werden die Schlager der 50er und 60er zitiert (Musik: Andreas Binder), die Tanzstunde, der Rock’n’Roll, die Ehen, die Kinder.

Und dann sind wir wieder in der Jetztzeit angelangt: „Was fällt Ihnen zum Alter ein?“, fragt der Hypnoseprofessor. „Medikamente und Nebenwirkungen“ lautet die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Und zur Sexualität im Alter? „Uhhhhuuuhhh“, „Ahhhahaha“. Da wiegelt man lieber ab und geht zu einem anderen Thema über: „Wir Alten verstopfen die Arztpraxen und nehmen den Studenten die Seminarplätze weg.“ Ein bisschen bitter ist das, ein bisschen selbstironisch, ziemlich gut gelaunt.

Es war ein wunderbarer Theaterabend, ein wenig wie ein Familienfest mit Kindern und Kindeskindern, die im Saal sitzen und die Großeltern beklatschen. Ein Abend, bei dem einem unmittelbar einfällt: Hoffentlich gibt es so eine Truppe auch, wenn ich alt bin.

– „Die Methusalems spielen ihr Leben“, Ute Köhler, Südwestdeutsche Zeitung, 12. Dezember 2002

– „Bella, bella, bella Marie, vergiss mich nie!“, Siegbert Kopp, Südkurier, 27. Januar 2003

– „Alter schützt vorm Theater nicht“, Annette Hoffmann, Kulturjoker, Februar 2003

– „Jenseits von Gut und Böse“, SO, Badische Neueste Nachrichten, 21. Oktober 2003

– „Die Lust am Spielen ist noch da“, Anna Waninger, Badische Zeitung (Ausgabe Denzlingen), 5. Oktober 2003

– „Unter Hypnose erschienen sogar die Alten erträglich“, Elke Schapeler, Badische Neueste Nachrichten, 31. Oktober 2003

– „Eine warmherzig-humorvolle Souveränität des Alters“, Margrit Haller-Reif, Badisches Tagblatt, 21. Oktober 2003

– „Drum bin ich kein alter Knacker“, 9. Oktober 2003, Seite von Haus zu Haus, Mediuem und AutorIn unbekannt