Wenn ein Kind zum Spiegel wird

Wenn ein Kind zum Spiegel wird

In „Ich bin nur vorübergehend hier“ beschäftigen sich die „methusalems“ letztlich auch mit sich selbst.
Otto Schnekenburger, Der Sonntag, 19. April 2009

Sie bauen keine Häuser mehr: 16 alte Menschen – und ein Kind – treffen in „Ich bin nur vorübergehend hier“ von Tankred Dorst in einem als „Niemandsland“ bezeichneten Raum zusammen. Bald wird klar, dass es hier um eine Auseinandersetzung mit dem Alter geht. Die „methusalems“, die Seniorentheatergruppe des Freiburger Theaters, haben sich jetzt des Stoffs angenommen. Am nächsten Sonntag ist Premiere.

Die stehen gemeinsam auf der Bühne, aber agieren nicht wirklich miteinander. Sie laufen nebeneinanderher, so wie die Gesellschaft, in der sie leben, keinen wirklichen Zusammenhang hat. Und sie haben – jeder für sich – ihr Päckchen aus der eigenen Vergangenheit zu tragen. Da ist die Figur, die ein Trauma vom Krieg hat und bestimmte Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Ihn wird Regisseur Carsten Fuhrmann eine Arie aus „Orpheus“ singen lassen. Da ist die Figur, die unter dem Verlust der Außenwahrnehmung leidet, sich als 12-jähriges Kind sieht und so auch zum Spiegel für die anderen und ihr Alter wird. Und da ist der Frauenheld, der sich nicht eingestehen kann, dass er nicht mehr der ist, der er einmal war. „Er war bestimmt einmal ein wunderbarer Liebhaber, kann sich aber nicht eingestehen, dass sich die Frauen nicht mehr so sehr für ihn interessieren wie früher“, meint Carsten Fuhrmann. Der Dozent an der Musikhochschule hat von „methuselms“-Gründer und Chef Helmut Grieser den Auftrag zur Inszenierung erhalten. „Wir wollten einmal eine andere Sprache und einen anderen Stil für die Gruppe finden.“

Strohgeige und Cembalo

Ildiko Moog-Baan an der Strohgeige und Naomi Schmidt am Cembalo werden die Inszenierung begleiten. Es wird eine Bodenplatte und eine Decke, an welche Videos projiziert werden, auf der Bühne des kleinen Hauses geben. Für Fuhrmann und Bühnenbildner Alexander Albiker geht es darum, die alten Menschen aus einem zeitlichen Verlauf herauszunehmen. „Sie bauen keine Häuser mehr, schauen nicht nach vorne, sondern unsicher nach oben und unten.“ Diese Situation des Eingeschlossenseins hat auch schon zu Vergleichen mit Jean Paul Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ geführt, die Fuhrmann aber weniger gerechtfertigt sieht. „In der Hölle sind sie nicht. Was vergleichbar ist, ist die Laborsituation in einem geschlossenen Raum, in der unser Stück auch spielt.“

Es ist nicht nur, aber auch ein düsteres Stück, weil die Ängste der älteren Herrschaften auf der Bühne oft die Hoffnungen überschatten, räumt Fuhrmann ein. Die Figuren sind bei den „methusalems“ mit Menschen besetzt, die ein vergleichbares Alter und damit auch vergleichbare Erfahrungen besitzen, was der Regisseur vor allem für die Schauspieler als große Chance betrachtet. „Die Beschäftigung mit dem Stück hatte in den Proben manchmal auch gruppentherapeutischen Charakter“, erzählt er. Wobei die Schauspieler durch die Beschäftigung mit ihren Rollen genau entgegengesetzt wie diese agieren würden: „Sie sind aktiv, lesen Text, entwickeln Sensibilität.“ Bauen also neue Häuser. „Und sie resignieren daher nicht, sondern bekämpfen ihre Probleme“, erläutert Fuhrmann, der sich durchaus vorstellen kann, dass ältere Menschen im Publikum selbst einen neuen Antrieb erhalten, sich nicht dem Alter zu ergeben.