Auf der Suche nach dem Alter
Auf der Suche nach dem Alter
Gespräche im Orbit: Helmut Grieser vor dem Beginn der Seniorentheatertage in Freiburg Kathrin Kramer, Badische Zeitung, Kultur, 27. Februar 2008Während Helmut Grieser die Jacke anzieht, hält er inne, als hätten wir über das Wichtigste noch nicht gesprochen. „Jetzt habe ich Ihnen gar nicht erzählt, dass ich auch Imker bin.“ Beim heiteren Hobbyraten hätte man drauf kommen können. Mit breitkrempigem Hut und Netz vor dem Gesicht steht er hochkonzentriert und unaufgeregt mitten im Getümmel und schält mit ruhigen, selbstgewissen Bewegungen den Honig aus den Waben. So könnte es aussehen, wenn er in seinem Garten die Bienenstöcke versorgt. Mag sein, dass die Organisation der Seniorentheatertage, die in dieser Woche mit sieben Theatergruppen aus Süddeutschland an den Freiburger Bühnen stattfinden, dagegen ein Spaziergang für den künstlerischen Leiter der „methusalems“ ist.
Der 66jährige Schauspieler ist ein beredtes Beispiel dafür, was für einen immensen Fundus die Vergangenheit bergen kann, ohne dadurch die Gegenwart in den Schatten zu stellen. Nach 45 Jahren auf den Brettern, die, wenn’s gelingt, die Welt bedeuten, kennt er Geschichten in Hülle und Fülle. Helmut Grieser spricht zurückgelehnt mit verschränkten Armen. Er redet nicht, er spricht tatsächlich. Dabei zieht er den Mund ein wenig in die Breite, so dass er die Worte nicht nur spricht, sondern ausspricht, dezidiert, aber nie affektiert. Bei Anekdoten, die er meistens für nicht so wichtig oder für zu eitel hält, legt er die Unterarme nebeneinander auf den Tisch und neigt sich seinem Gegenüber so zu, dass das Erzählte einen vertraulichen Ton annimmt.
Als 14-Jähriger vom Theater eingefangen
Zum Beispiel die Geschichte, als er nachts vorm Bett seiner Mutter stand. Dazu muss man wissen, dass Helmut Grieser, geboren 1941, die letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre an einem Ort, kleiner als ein Dorf, im tiefsten Bayern verbrachte. Einem Ort, an dem ein Kind nichts von dem mitbekam, was es in der Welt zu tun gab, außer auf Bäume zu klettern und zahme Vögel zu pflegen. Nachdem die Familie in seine Geburtsstadt Darmstadt zurückgekehrt war, saß er als 14-Jähriger zum ersten Mal im Theater – und fühlte sich „wie im Taumel“. Das war der Abend, an dessen Ende er vor dem Bett seiner Mutter stand, um ihr mitzuteilen, dass er Schauspieler werde. Seine Eltern waren alles andere als begeistert.
So besiegelte er stillschweigend seine Schullaufbahn mit der Mittleren Reife, machte seinen Gesellenbrief als Innendekorateur, arbeitete in der Fabrik, um genug Geld für den Start zu verdienen. Erst am Tag vor seiner Abreise nach Berlin sagte er den Eltern, wozu das alles. Er bestand auf Anhieb die Aufnahmeprüfung bei Hilde Körber an der Max-Reinhardt-Schule für Schauspiel.
Noch heute ist für Helmut Grieser die initiatische Faszination seines ersten Theaterbesuchs der Gradmesser für gelungenes Theater: „Dann höre ich die Stille im Publikum, dann spüre ich den angehaltenen Atem.“ Gefragt nach Begegnungen, Erlebnissen, die ihn geprägt haben, vergräbt er das Gesicht in der Hand und weiß nicht, wo anfangen. „Es war die Summe von Leuten und Ereignissen“, sagt er, „und die immer wieder neue Herausforderung, an einer Versuchsanordnung mit unbestimmtem Ausgang teilzuhaben“. Und dann ragen doch ein paar Namen heraus. Der Fritz Kortners zum Beispiel, der nach der frühen Phase pathetischen Nachkriegstheaters „uns rückgeführt hat in die Figuren, hineingequält in die Wahrhaftigkeit“.
Geprägt haben ihn auch die 68er Jahre mit ihrer Demokratisierung der künstlerischen Prozesse, als er im Mitsprachegremium des Staatstheaters Wiesbaden saß. Jahre der Politisierung des Theaters, „an deren Ende unter anderem steht, dass heute Amélie Niermeyer und Barbara Mundel Intendantinnen sind“.
Und geprägt hat ihn bis heute die Zusammenarbeit mit seiner Frau, der Autorin Ingrid Israel. Neben den großen Versuchsanordnungen nämlich interessieren Helmut Grieser seit Jahren die kleinen Nischen mit Sonderprogrammen, in denen er sich in eigener Regie mit Themen seines Lebens befasst: mit dem Mann-Sein etwa, dem Paar-Sein, dem Vater-Sein. Vor acht Jahren stand er eines Morgens vor dem Spiegel und bemerkte plötzlich, dass er eigentlich gar nichts über das Alter wusste. Also beschloss er, das Seniorentheater der „methusalems“ zu gründen, eine Nische, die inzwischen zur Hauptbühne seiner Arbeit geworden ist. Die Texte für diese Nischen schrieb und schreibt allesamt Ingrid Israel, selbst ehemals Schauspielerin. Unsere Zusammenarbeit, sagt Helmut Grieser, ist so eng, dass keiner weiß, wo der eine anfängt und der andere aufhört.