„Die Ehemaligen“
Biografien aus dem Waisenhaus Günterstal – zwischen Höllental und Himmelreich // Ein Dokumentartheaterstück mit ehemaligen Bewohner_innen des Waisenhauses Freiburg-Günterstal und den methusalems.
Uraufführung am 17. Februar im Stadttheater Freiburg
Die Nachkriegsgeschichte des Klosters in Freiburg-Günterstal, das von der Stadt Freiburg jahrzehntelang als Waisenhauses und Kinderheim genutzt wurde, basiert auf den ausführlichen Gesprächen von ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohnern und ihren Erinnerungen.
Das Stück, eine gemeinsame Produktion der Waisenhausstiftung, des Theaters und dem „methusalems e.V.“ zeigt Ausschnitte aus den Lebensgeschichten der Kinder, die dort vom Jugendamt eingewiesen oder auch von ihren Eltern abgegeben wurden. Waisen waren die wenigsten. Die Erzählungen vermitteln gleichzeitig einen Einblick in die jeweilige Zeit.
Die meisten der Kinder damals litten schwer unter der Erziehung und dem Missbrauch der Nonnen. Einige andere wiederum versichern, dass sie durch die Unterbringung im Waisenhaus einen gelingenden Lebensweg starten konnten.
Vor rund zehn Jahren sprachen viele der früheren Heimkinder erstmals im Rahmen eines Buchprojektes über ihre Zeit im Waisenhaus. Wie sich zeigte, sind sehr viele Ehemalige durch ihre Zeit im Kloster Günterstal traumatisiert. In einem Geschichts- und einem Interviewband, erarbeitet von dem Historiker Dirk Schindelbeck, stellt sich die Waisenhausstiftung selbstkritisch ihrer eigenen Vergangenheit und lässt ehemalige Heimkinder ausführlich zu Wort kommen – für viele von ihnen ein heilsamer Prozess: Endlich wurden sie gehört.
Zusammen mit dem Seniorentheater „die methusalems“ erarbeiten unter der Regieleitung von Veit Arlt „Ehemalige“ ihr Theaterstück – und stehen auch mit auf der Bühne.
Premiere wegen Erkrankungen im Ensemble verschoben auf:
Theater Freiburg, Kleines Haus, Samstag, 4. März, 20 Uhr
Weitere Aufführungen:
-März: Donnerstag, 23. / Sonntag, 26. / Donnerstag, 30.
-April: Freitag, 1.
Premierenkritik (https://www.badische-zeitung.de/die-ehemaligen-die-freiburger-methusalems-auf-spurensuche-mit-einstigen-heimkindern–246617156.html):
„Die Ehemaligen“: Die Freiburger Methusalems auf Spurensuche mit einstigen Heimkindern
Das Dokumentartheaterstück „Die Ehemaligen“ versammelt ehemalige Heimkinder und Mitglieder der Methusalems gemeinsam auf der Bühne. Aus einem herausfordernden Projekt ist ein sehr berührender Abend geworden.
Geschichten von Frauen und Männern, die ihre Kindheit im Waisenhaus Günterstal verbrachten, einer Einrichtung des katholischen Vinzentinerinnen-Ordens, jener Schwesterngemeinschaft, die damals im Günterstaler Waisenhaus tätig war, haben die Regisseure Veit Arlt und Veronika Bendiks auf die Bühne gebracht. Das Projekt hat viele Partner – ehemalige Heimkinder, die Theatergruppe Methusalems, die Waisenhausstiftung und den Historiker Dirk Schindelbeck – und es hat eine Menge Geduld und Vertrauen gebraucht, um es zum Ergebnis auf zu führen. Wie gut, dass sie in der Mehrheit durchgehalten haben!
„Die Ehemaligen“ ist ein vielschichtiges Stück. Erzählt wird ein Ausschnitt aus der Freiburger Stadtgeschichte, aber auch von Erziehungsmethoden in der Nachkriegszeit, von gesellschaftspolitischen Diskursen – und persönlichen Leidenswegen. Im Waisenhaus Günterstal wurden jeweils 40 Kinder von einer Nonne betreut. Geschwisterkinder wurden oft getrennt, es herrschte ein stenges, häufig gewalttätiges Regime, Kinder wurden misshandelt, bloßgestellt, gedemütigt. Sie wurden nicht angehört, nicht respektiert, nicht geschützt. In Latzhosen, Trägerröcken, geringelten Strumpfhosen oder Hosenträgern zeigen sich die Darstellenden auf der Bühne: als Kinder. Zu Beginn des Stücks treten sie einzeln einen Schritt vor und öffnen ihre Münder. Doch noch bleiben die Schreie lautlos.
Ein wichtiges Anliegen war Arlt und Bendiks, auf der Theaterbühne niemanden auszustellen, sondern ein Kollektiv entstehen zu lassen. So erzählen die ehemaligen Heimkinder nicht unbedingt ihre eigene Geschichte – dafür durchaus die anderer Zeitzeugen. Die Methusalems werden zudem zu ihren Stellvertreterinnen und Stellvertretern. Alle schlüpfen souverän in Rollen – auch in die von Pfarrern und Nonnen, Müttern und Richtern. Das ästhetische Spiel ermöglicht die Distanzierung des Einzelnen, den Weg in die Abstraktion. Es ist darum nicht weniger eindrücklich – und streckenweise durchaus verstörend. Im poetischen Märchenspiel, in dem etwa das Mädchen Gisela sich an einen anderen Ort träumt, finden die insgesamt mehr als ein Dutzend Darstellerinnen und Darsteller, aber auch die Zuschauerinnen und Zuschauer leicht und behutsam Zugang zu ihren Gefühlen. Dieser Theaterabend ist keine Abrechnung mit einem System, unter dem auf der ganzen Welt Kinder gelitten haben.
Er entschuldigt auch nichts. Aber er gibt dennoch Hinweise auf Menschen, die ihr Bestes getan haben: Die Nonne, die der Fünfjährigen Lesen und Schreiben beigebracht hat, wie die Frau sich heute im Video erinnert; der Richter, der dem Jugendlichen mit Bewährungsstrafe eine Lehrstelle verschaffte. Kein Trost für die, die nicht profitierten. Die „ihr Leben lang mit der heillosen Verwirrung“ kämpfen, die der Aufenthalt im Waisenhaus Günterstal bei ihnen auslöste. Welch eine große Leistung, anderen davon zu erzählen.