Vorhang zu, Fragen offen

Vorhang zu, Fragen offen

Thomas Krupa lädt für „Der gute Mensch von Sezuan“ das Publikum auf die Bühne
Otto Schnekenburger, Der Sonntag, Kultur, 26. Februar, 2006

„Es ist bestimmt kein Zufall, dass ’Der gute Mensch von Sezuan’ in den letzten fünf, sechs Jahren an so vielen Bühnen zu sehen war“, glaubt der Dramaturg Josef Mackert. Am nächsten Freitag reiht sich auch das Freiburger Theater mit einer Inszenierung von Thomas Krupa unter die Bühnen, die in Zeiten knapper Kassen und hoher Arbeitslosigkeit das Schauspiel von Bertolt Brecht wegen seiner Aktualität ins Programm nehmen.

In seinem Schauspiel „Der gute Mensch von Sezuan“ lässt Bertolt Brecht drei Götter eine fiktive Stadt besuchen, um dort in ökonomisch schwierigen Zeiten nach einem guten Menschen zu suchen. Dass dem nicht so einfach ist, erfahren die Götter schon bei der Quartiersuche. Ausgerechnet in der vom Wasserverkäufer Wang vermittelten Prostituierten Shen Te scheinen sie schließlich doch fündig geworden zu sein. Shen Te kann sich mit dem Geld der Götter einen Tabakladen kaufen, merkt aber bald, wie schwierig es ist, Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit miteinander zu vereinbaren. Nur mit Hilfe eines Tricks gelingt der Spagat: Shen Te beginnt ein Doppelleben und verwandelt sich immer dann, wenn es gilt, skrupellos zu sein, in ihren Vetter Shui Ta. Das ist natürlich nicht im Sinne der Götter, die am Ende von „Der gute Mensch von Sezuan“ desillusioniert auf einer rosa Wolke entschweben: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen, der Vorhang zu und alle Fragen offen“, entlässt Brecht seine Zuschauer ohne Lösungsvorschlag.

Die Vorarbeit zu „Der gute Mensch von Sezuan“ reicht zwar bis in die 20er-Jahre, fertig gestellt wurde das Schauspiel aber erst 1940/41. „Brecht hat das Stück unter dem Eindruck einer Gesellschaft geschrieben, die in der Krise versinkend immer wölfischer zueinander wurde“, sagt Josef Mackert. Mit seiner fabelartigen Geschichte habe er versucht, zu begreifen, welche Mechanismen durch den Nationalsozialismus in der Bevölkerung ausgelöst wurden. Für Josef Mackert ist das Schöne dabei, dass Bertolt Brecht mit den ernsten Fragen sehr spielerisch und ironisch umgeht.

Thomas Krupa wird das Publikum wie schon Amélie Niermeyer bei „Moby Dick“ auf die Bühne des großen Hauses bitten. Auf drei Tribünen, die das Bühnenbild von Andreas Jander umschließen, werden 350 Zuschauer Platz finden. „Nachdem wir andere Inszenierungen gesehen haben, fanden wir es sehr reizvoll, mehr Nähe zum Publikum herzustellen“, meint Josef Mackert. Zumal eine Besonderheit des Stückes von Brecht die vielen Ansprachen sind, mit denen sich Schauspieler direkt ans Publikum wenden und dabei auch aus der Handlung aussteigen. Nach dem Motto „Drei Götter suchen den guten Menschen von Freiburg“ sollen sich die Zuschauer gedanklich beteiligen. „Ein Mitmach-Theater wird es aber nicht, die Zuschauer bleiben Zuschauer“, sagt Mackert.

Eine zentrale Rolle soll in der Freiburger Inszenierung die Musik von Paul Dessau spielen. Brecht hatte das Stück selbst als „musical drama“ bezeichnet, spielte mit dem Gedanken an eine Aufführung als Musical am Broadway und wandte sich an Dessau, nachdem eine Zusammenarbeit mit Kurt Weill nicht zustande gekommen war. Insgesamt 36 Musiknummern komponierte Dessau daraufhin für „Der gute Mensch von Sezuan“. Bei ihrer Präsentation wird der Amerikaner Ari Benjamin Meyers als musikalischer Leiter „Zitate eines Orchesters“ einsetzen: einen Flügel, zwei Backround-Sängerinnen und „ein paar Menschen, die Musiker spielen“.

Jene Musik spielenden Menschen werden sich schon bald als die drei Götter erweisen und sind Mitglieder der Senioren-Theatergruppe „methusalems“, die schon als Volk von Argos in Sartres „Die Fliegen“ zu sehen waren. Ansonsten will Thomas Krupa die letzte Gelegenheit nutzen, in einem Ensemblestück noch einmal viele Schauspieler der Ära Niermeyer zu zeigen. Gespannt sein darf man, wie Janina Sachau – die schon mit Rollen vom Sams bis zu Effie Briest ihre Vielseitigkeit zeigte – die Doppelrolle als Shen Te und Shui Ta ausfüllen wird. Aufgewertet hat Krupa, der sich an der kürzeren so genannten „Santa-Monica-Fassung“ von Brecht orientierte, die Rollen der Witwe Shin als Begleiterin Shen Tes (Nadine Geyersbach) und des Barbiers Shu Fu (Herbert Schäfer). Und Thiemo Schwarz wird als Wasserkäufer Wang als moderierender Entertainer durch die Show der Parabel führen.