Schwärmen für den Führer

Schwärmen für den Führer

Die Freiburger Seniorentheatergruppe „Methusalems“ geht Kindheitserinnerungen nach
Marion Klötzer, Badische Zeitung, Kultur, 4. Mai 2010

Auf dem Pult steht ein kleiner Messingdackel, vor über sechzig Jahren an einen Jungen verschenkt von zwei netten Damen aus dem Dachgeschoss, bevor sie nach Theresienstadt abtransportiert wurden. Was mit ihnen passierte, wusste der Junge damals nicht. Aber den Dackel hat er bis heute. Seine Geschichte ist nur eine von vielen Kindheitserinnerungen der Freiburger Seniorentheatergruppe „Methusalems“, die Ingrid Israel zu Szenen verdichtete und die jetzt im Mehrgenerationenstück „Der Hund auf meinem Schreibtisch“ zu erleben sind (Regie: Armin Holzer).

Gespielt wird auf der Probebühne des Theaters mit nichts als ein paar Paravents, Stühlen, Mänteln, einer Holztreppe und einem Volksempfänger (Bühne: Alexander Albiker). Die Situation ist intim, wirkt fast improvisiert – und genügt doch für eine ebenso berührende wie spannungsreiche Zeitreise. Vor dem Start hat man allerdings Bedenken: „Manche Erinnerungen will man doch gar nicht, oder?“, fragt eine Zeitzeugin ihre 70- bis 80-jährigen Mitspieler. Gab es denn überhaupt schöne Momente oder etwas wie Normalität unter der Hakenkreuzfahne?

Als eine Horde Kinder zwischen die Diskutierenden stürmt, gibt’s keinen Weg mehr zurück: Jetzt wird Geschichte für Geschichte zum Leben erweckt. Da wird der Vater als Feigling beschimpft, weil er kein strahlender Held ist, sondern sich vor der Einberufungsbefehl drücken will. Da haben die Eltern Angst, vom eigenen Sohn denunziert zu werden, weil er ihrem regimekritischen Gespräch am Küchentisch lauschte. Da träumen die Mädels beim Pelzmäntel-Auftrennen in einer eiskalten Turnhalle von Stars und Glamour. Da gibt es Backfisch-Schwärmereien für den Führer; Puppen, die verloren gehen und im Luftschutzkeller bitterlich beweint werden oder das behinderte Xaverle, das plötzlich fehlte. Und immer wieder Schulszenen voller Drill und Propaganda.

Doch trotz Affenschaukeln und Knickerbockern (Kostüme: Bärbel Albiker) fungieren die neun Bühnenkinder nicht als Alter Ego der Methusalems, sondern lediglich als Kurzzeit-Stellvertreter in diesem theatralen Erinnerungsprozess. Ohne Stockstarre und mit viel Spielfreude tauchen die Schülerinnen und Schüler in diese Anekdoten ein, füllen sie mit Leben – und sind gottlob doch weit weg von diesen Erfahrungen. „Hast Du das wirklich gemacht?“, fragt ein Junge seinen Erzähler nach gespielter Szene und bricht so die Illusion. Genau dieser während des ganzes Projektes (Leiter: Helmut Grieser) gesuchte und auf der Bühne auch sichtbare Dialog zwischen den Generationen macht das Stück dann auch so intensiv und persönlich.